Orientierungspunkte Präsenz im außerkirchlichen Raum

„Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen (Mk 6,34).“ Vor jeglicher Aktivität geht es darum, die Gegend, in der wir uns aufhalten, und die Menschen, die dort vorübergehen, anzuschauen und wahrzunehmen. Möglicherweise kommen wir dahin, mit einem geistlichen Auge sehen zu lernen. Wir denken darüber nach, wie Gott selbst wohl auf jene Menschen blicken würde. Was könnte ein liebender Blick auslösen – in uns selbst und womöglich sogar im Menschen, den wir anblicken? Wenn sich dann im Schauen bei uns Mitleid regt, dann nicht in der irrigen Annahme, wir wüssten bereits das Gute für jenen Menschen. Wir schauen die anderen Menschen an im Bewusstsein unserer eigenen Bedürftigkeit, Gebrochenheit und Ohnmacht.

„Jesus fragte Bartimäus: Was willst du, dass ich dir tue (Mk 10, 51)?“ Wir nehmen keine Idee, keine Absicht, kein Programm mit, was wir etwa an die Frau oder den Mann bringen wollten. Einzig das zählt, was dem Menschen gerade wichtig ist, womit sie oder er mit uns in Kontakt tritt.

„Nehmt nichts auf den Weg mit (nach Mk 6,8).“ In die heutige Zeit übersetzt kann das insbesondere den Verzicht auf jegliche religiöse Symbolik bedeuten. Ein Bild, ein Plakat, das Kreuz wecken bei Passanten sofort die Assoziation, hier wird missioniert. Es kann sein, dass diese Dinge eher einen Kontakt verhindern, als dass sie ihn erleichtern. Ich selbst habe viele Jahre gebraucht, um zu dieser Auffassung zu finden. Kommt es zum Gesprächskontakt, dann lenkt oft mein Gegenüber das Thema auf Religiöses.

„Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe (Mt 10,7).“ Es wortwörtlich so tun zu wollen, schreckt mit Sicherheit jeden Menschen ab. Im besten Fall wirkt das seltsam und wunderlich, oftmals leider misslungen. Dagegen könnten das eigene Auftreten und Verhalten aus einer zutiefst positiven Grundhaltung dem Leben und den Menschen gegenüber schon so etwas werden wie eine implizite Verkündigung des Evangeliums. Sie ereignet sich nicht im Wort, sondern durch den Kontakt und das sich daraus ergebende Miteinander.

„Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus (Mt 10,8)!“ Wenn es bei der Präsenz im öffentlichen Raum überhaupt um ein Ziel oder eine Absicht gehen darf, dann ist das die Bereitschaft (und eine gewisse erworbene Fähigkeit) zur Gesprächsseelsorge.

„Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben (Mt 10,8).“ Wir richten an die Menschen, denen wir begegnen, keinerlei Erwartungen! Insbesondere verfolgen wir nicht das Ziel, sie für die Gemeinde oder für den Gottesdienstbesuch zu werben.

„Jeweils zwei zusammen (Mk 6,7)“ Immer wieder mache ich die Erfahrung, dass ich es allein auf der Straße sehr schwer habe. Jedoch schon zu zweit, zu dritt oder zu viert einfach nur an einer Stelle zusammen zu sitzen, wo gewöhnlich niemand sitzt, reicht schon, um Passanten aufmerksam werden zu lassen. „Was machen Sie denn hier?“

„Sie kamen nach Kafarnaum (Mk 1,21).“ Kirchliche Präsenz ist an jedem Ort möglich und beschränkt sich keineswegs nur auf herausgehobene Stellen wie den Marktplatz. Der erste Ort, um präsent zu sein, ist das eigene unmittelbare Wohnumfeld. Das gilt insbesondere da, wo die Kirche ihre Gemeindegebäude aufgegeben hat. Es gibt die Kirche dort nicht mehr, aber sie ereignet sich gerade neu durch den Kontakt und durch die Begegnung.

„Jesus sandte sie aus (Mk 6,7).“ Sie, das sind die Zwölf, seine Jünger, wörtlich seine Schüler, also diejenigen, die sich bei ihm in der Lehre befinden. Demensprechend erfordert die Präsenz auf der Straße ein ausreichendes Maß an Vorbereitung, Schulung, Reflexion der Grundhaltungen, Grundlagen der Gesprächsführung und Handreichungen für den Umgang mit schwierigen Situationen. In gewisser Hinsicht bestehen Anklänge an den Dienst der Telefonseelsorge, welche ebenso von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern getragen wird.

Eine vorläufige Zusammenfassung

Die Kirche ereignet sich da, wo sie nicht (mehr) existiert. Durch die Präsenz im öffentlichen Raum geschieht Kirche aus dem Grundvollzug der Koinonia heraus. Es ist die Gemeinschaft von Menschen, die sich in einer kleinen Gruppe zusammenfinden, um zeitweilig im öffentlichen Raum da zu sein. Dazu kommt dann die Gemeinschaft mit den Menschen, die dort mit ihnen in Kontakt treten. Aus den so entstehenden Begegnungen erwachsen Diakonia (etwa durch Vermitteln in konkrete Hilfemöglichkeiten) und Martyria (Gespräche über den Glauben, in aller Regel durch diejenigen angestoßen, welche den Kontakt von sich aus aufnehmen). Es bleibt spannend abzusehen, inwieweit sich hier dereinst auch Formen der Liturgia entwickeln werden. Schon jetzt ist das kurze Segensgebet als eine rudimentäre Form erkennbar. Wenn es nach meinem Gefühl stimmig erscheint, frage ich beim Auseinandergehen, ob ich es sprechen darf. Fast immer kommt es dann positiv und wohltuend an.

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